3. Februar 2017

Die Europäische Union muss sozialer und transparenter werden!

Der Ausgang des britischen Referendums im letzten Jahr hat uns wie kein anderes Ereignis in der Geschichte der Europäischen Union deutlich vor Augen geführt, wie zerbrechlich das europäische Projekt tatsächlich ist. Doch anstatt in eine Schockstarre zu verfallen, müssen wir jetzt den Blick nach vorne richten und mit vereinten Kräften die ins Wanken geratene Brücke in eine gemeinsame europäische Zukunft weiterbauen. Weiterbauen, bedeutet eben nicht, dass wir uns mit dem Status Quo abfinden. Ganz im Gegenteil: Es muss uns darum gehen, das fragile Gerüst auf ein solides Fundament zu stellen, das auf nachhaltigen Investitionen und einer gemeinsamen Sozialpolitik basiert. Angesichts europaweit erstarkender nationaler und rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen wäre es geradezu töricht, nicht einzusehen, dass die Zukunft der Europäischen Union maßgeblich von der Ausgestaltung ihrer sozialen Dimension abhängen wird.

Die Europäische Säule sozialer Rechte hat das Potenzial, zu einem der Eckpfeiler für die Weiterentwicklung der Europäischen Union hin zu einer Sozialunion zu werden. Dabei ist eine unabdingbare Voraussetzung, dass diese nicht lediglich eine Auflistung bereits bestehender Prinzipien oder guter Absichten darstellt, sondern konkrete Werkzeuge dafür liefert, wie ein soziales Europa für alle zur Realität werden kann. Dafür muss die Europäische Union mit verbindlicher Gesetzgebung und den entsprechenden finanziellen Mitteln ausgestattet werden, um dem sozialen Wandel eine echte Chance zu geben. Dazu gehört auch, dass soziale Grundrechte nicht nur EU-Bürgerinnen und -bürgern vorbehalten sind, sondern allen Menschen in der Europäischen Union zugesprochen werden.

Nach wie vor besteht in Europa ein enormes Wohlstands- und Einkommensgefälle. Um die regionalen Unterschiede in den Lebensverhältnissen wirksam zu bekämpfen und mehr sozia- le Sicherheit zu schaffen, sind neben verbindlichen Zielen in der europäischen Sozialpolitik und einer stärkeren Koordinierung sozialpolitischer Maßnahmen in den einzelnen EU- Mitgliedstaaten auch gemeinsame Mindeststandards im Bereich der sozialen Sicherung und des Arbeitsmarktes unerlässlich. Eine europäische Mindesteinkommensrichtlinie, die fest- schreibt, dass allen Menschen in allen EU-Mitgliedstaaten ein Existenzminimum in angemessener Höhe zusteht, könnte hierbei einen wichtigen Beitrag zur Definition gemeinsamer europäischer Standards bei der Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung leisten.

Um den sozialen Zusammenhalt in Europa zu stärken, muss insbesondere den südeuropäischen Staaten, die besonders hart von der Krise getroffen wurden und sich bisher noch nicht umfänglich davon erholt haben, ein ausreichender Spielraum für die notwendigen Strukturreformen eröffnet werden. Für einen dauerhaften Weg aus der Krise ist es auch notwendig, langjährig etablierte Instrumente genauer unter die Lupe zu nehmen und zu überholen. Damit wirtschaftliche Ungleichgewichte in der Europäischen Union effektiver als bisher abgebaut werden können, sollte die wirtschaftspolitische Steuerung über das Europäische Semester gestärkt werden. Dies wiederum muss mit den Armutsbekämpfungs- und Beschäftigungszielen der Strategie Europa 2020 verknüpft werden, um so auch die soziale Dimension des Europäischen Semesters zu untermauern.

Doch die Diskussionen über die Zukunft der Europäischen Union dürfen nicht hinter verschlossenen Türen stattfinden. Die Bürgerinnen und Bürger müssen in politische Prozesse einbezogen werden. Es ist zentral, dass Informationen über gesetzgeberische Vorgänge der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Dafür muss auch die Europäische Bürgerinitiative (EBI) gestärkt werden. Mit der Hilfe der EBI kann die Europäische Kommission aufgefordert werden, einen Rechtsakt in einem bestimmten Bereich vorzuschlagen, wenn zuvor innerhalb von zwölf Monaten insgesamt eine Million gültige Unterstützungsbekundungen in mindestens 7 der noch 28 Mitgliedsstaaten gesammelt wurden. Darüber hinaus muss allerdings auch das Europäische Parlament, dessen Zusammensetzung immerhin als einzige aller EU-Institutionen direkt von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt wird, noch wirksamer als Sprachrohr und Interessensvertretung der EU-Bevölkerung etabliert werden. Außerdem darf die Idee der Einrichtung eines Europäischen Bürgerkonvents nicht voreilig zu Grabe getragen werden: Durch einen direkt gewählten Bürgerkonvent, der sich in einem inklusiven Prozess mit der Zukunft und den Aufgaben der Europäischen Union befasst, kann bürgernahe Politik auf europäischer Ebene zur Realität werden.

Die Bürgerinnen und Bürger Europas haben einen Anspruch darauf, dass die Europäische Union auch in sozialen Fragen Verantwortung übernimmt. Deshalb müssen wir über die gegebenen Realitäten hinausdenken und mutige Schritte hin zu nennenswerten, nachhaltigen Investitionen und einer gemeinsamen Sozialpolitik unternehmen, um gegen wachsende Ungleichheiten in Europa vorzugehen.

Dieser Artikel erschien zuerst in BBE Europa-Nachrichten – Newsletter für Engagement und Partizipation Nr. 1 vom 31. Januar 2017.