12. Oktober 2017

Für eine soziale Entsenderichtlinie!

Entsandte Arbeitnehmer*innen müssen besser geschützt werden

Haben Sie heute Morgen die Zeitung aufgeschlagen und waren entsetzt darüber, wie hierzulande mit entsandten Arbeitskräften umgegangen wird? Nein? Ich auch nicht. Seit anderthalb Jahren wird in Brüssel nun schon an einer Verbesserung der Entsenderichtlinie herumgedoktert – doch in Deutschland scheint dieses Thema kaum größere Wellen zu schlagen. Gleichzeitig berichten Beratungszentren für mobile Beschäftigte immer wieder von entsandten Arbeitnehmer*innen, die Opfer von Praktiken halbseidener Geschäftsleute geworden sind oder einfach durch Schlupflöcher in bestehender Gesetzgebung fallen. Die Europäische Union ist in der Pflicht, dem einen Riegel vorzuschieben und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse über Grenzen hinweg zu bekämpfen.

Die Entsenderichtlinie muss entsandte Arbeitnehmer*innen schützen und ihnen mindestens dieselben Rechte zugestehen wie lokalen Arbeitnehmer*innen. Aber das reine Minimum ist nicht genug. Um die Situation entsandter Beschäftigter grundlegend zu verbessern, sind bei der Revision der Entsenderichtlinie drei Punkte besonders wichtig:

1. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Entsandte Arbeitnehmer*innen müssen während ihres Aufenthalts in einem anderen EU-Mitgliedstaat einen Lohn erhalten, der mindestens dem Niveau der dort beschäftigten Arbeitnehmer*innen entspricht.

2. Erweiterung der Rechtsgrundlage. Zurzeit stützt sich die Richtlinie lediglich auf die Dienstleistungsfreiheit, nicht aber auf den Schutz von Arbeitnehmer*innen. Das bringt uns in die prekäre Situation, dass der Europäische Gerichtshof die Dienstleistungsfreiheit über den Schutz von Arbeitnehmer*innen stellt.

3. Bessere Rechtsdurchsetzung in den EU-Mitgliedstaaten. Die Rechtssicherheit der Richtlinie muss gestärkt werden, um Schlupflöcher für ausbeuterische Geschäftsmodelle zu stopfen und die Verfolgung krimineller Arbeitgeber*innen zu verbessern. Im Falle von Scheinentsendungen darf den betroffenen Beschäftigten nicht der notwendige Schutz entzogen werden.

Das zentrale Ziel bei der Revision der Entsenderichtlinie ist, das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ zu verwirklichen. Dafür muss an drei Stellschrauben gedreht werden:

Zum einen muss der Begriff „Mindestlohnsätze“ durch den Begriff „Entlohnung“ ersetzt werden, damit entsandte Arbeitnehmer*innen von bestimmten Zuschlägen und Tagegeldern, Eingruppierungsbestimmungen oder Sonderzahlungen profitieren können. Die geltende Richtlinie legt bisher fest, dass entsandte Arbeitskräfte ein Anrecht auf die im jeweiligen Mitgliedstaat geltenden Mindestlohnsätze haben. Doch dadurch sind zusätzliche Lohnbestandteile wie Prämien oder Zulagen für schwere Arbeit oder Feiertags- und Nachtarbeit ausgeschlossen.

Darüber hinaus müssen Tarifverträge auch auf entsandte Beschäftigte angewandt werden. In Deutschland ist das momentan nur im Rahmen von allgemeinverbindlichen Tarifverträge möglich. Von den rund 71.900 gültigen Tarifverträgen in Deutschland sind jedoch nur 490 allgemeinverbindlich. Gerade einmal 20 davon enthalten Regelungsbereiche, die international zwingend gelten und daher auch auf entsandte Arbeitnehmer*innen anwendbar sind.

Nicht zuletzt muss den Mitgliedstaaten auch die Möglichkeit eingeräumt werden, Unteraufträge an die gleichen Arbeits- und Entlohnungsbedingungen zu knüpfen, wie sie für inländische Unternehmen gelten. Damit wird ein Schlupfloch für die Umgehung von Standards durch Unterauftragsvergabe gestopft.

Die Arbeit, die entsandte Arbeitnehmer*innen unter erschwerten Bedingungen leisten, muss als wichtiges Puzzlestück in einem mehr und mehr zusammenwachsenden europäischen Binnenmarkt anerkannt werden. Dafür brauchen entsandte Beschäftigte faire Konditionen. Jetzt ist die Zeit, die Weichen für einen gemeinsamen europäischen Arbeitsmarkt zu stellen – doch dieser Prozess darf nicht nur in Expert*innengremien diskutiert werden, sondern muss auch in der breiten Öffentlichkeit stattfinden, damit die Rechte von entsandten Arbeitnehmer*innen auch in Ihrer Tageszeitung zum Thema werden.

ÄHNLICHE THEMEN

MEHR NEWS

Aktuelles aus dem ParlamentEuropaFrauen
Stellenausschreibung: Parlamentarische*r Assistent*in Schwerpunkte: Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie Frauen- und Gleichstellungspolitik

Terry Reintke, Mitglied des Europäischen Parlaments und stellvertretende Fraktions-vorsitzende der Grünen/EFA-Fraktion, sucht zum 1. Dezember und bis zum Ende der 9. Legislaturperiode für den Arbeitsort Brüssel eine*n Assistent*in mit den Schwerpunkten Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie Frauen- und Gleichstellungspolitik. Aufgabenbeschreibung Organisation strategischer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Verfassen von Pressemitteilungen und Entwicklung zielgruppenorientierter Botschaften Kontaktpflege mit Journalist*innen und […]

EuropaPressemitteilungen
Brexit/TCA: Abkommen ist ein Anfang, nächste Schritte müssen folgen

PRESSEMITTEIULNG – Brüssel, 26. April 2021 Zur morgigen Debatte (Dienstag, 27. April) im Europäischen Parlament über das Abkommen über Handel und Zusammenarbeit zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich kommentiert Terry Reintke, stellvertretende Vorsitzende der Grünen/EFA-Fraktion: „Dieses Abkommen ist nicht gut, weil der Brexit einfach nicht gut ist. Alles, was dieser Deal schafft, war in […]

EuropaPressemitteilungenRechtsstaatlichkeit
Polen: EU-Kommission zieht vor EuGH

PRESSEMITTEIULNG – Brüssel, 31. März 2021 Die Europäische Kommission hat heute (31. März) angekündigt, dass sie die polnische Regierung vor dem Europäischen Gerichtshof verklagen wird. Grund ist die polnische Justizreform, die die Unabhängigkeit der polnischen Richterinnen und Richter untergräbt. Die Grünen/EFA-Fraktion hat die EU-Kommission mehrmals aufgefordert, wegen ihrer zahlreichen Attacken auf die Unabhängigkeit der Justiz […]

EuropaFrauenPressemitteilungen
Instagram Live zu geschlechtsspezifischen Gewalt: Wir brauchen eine EU-Richtlinie

Geschlechtsspezifische Gewalt ist eine der systematischsten und am weitesten verbreiteten Menschenrechtsverletzungen der Welt, die jedes Jahr Tausende von Menschenleben fordert. Die derzeitigen Lockdown Maßnahmen haben die bereits bestehenden Probleme verschärft. Fälle von geschlechtsspezifischer physischer, psychischer und sexueller Gewalt haben in ganz Europa unter COVID19 zugenommen, was die Vereinten Nationen als „Schattenpandemie“ bezeichnet haben. Trotz der […]

Europaflaggen vor blauem Himmel.
EuropaFrauenFreiheit- und MenschenrechteLGBTIQ+
Warum die EU dringend gegen geschlechtsspezifische Gewalt vorgehen muss

Geschlechtsspezifische Gewalt ist eine der systematischsten und am weitesten verbreiteten Menschenrechtsverletzungen der Welt und forderte schon vor der Pandemie jedes Jahr Tausende von Menschenleben. Unter COVID-19 hat sie sich weltweit zu einer Schattenpandemie ausgeweitet. Es ist an der Zeit, dass die EU von leeren Worten zu konkreten Taten übergeht. Eine von drei Frauen über 15 […]

EuropaFreiheit- und MenschenrechteLGBTIQ+Rechtsstaatlichkeit
Call for Action: EU als “LGBTIQ Freedom Zone”

Zur Unterstützung der Resolution des Europäischen Parlaments, die EU als “LGBTIQ Freedom Zone” zu erklären, ruft die LGBTI Intergroup LGBTIQ Personen und Organisationen, Influencer*innen und Unterstützer*innen zur Teilnahme an einer Social Media Aktion auf. Um diese Erklärung gebührend zu feiern, möchten wir die Regenbogenfahne quer durch Europa wehen lassen. Was: Nehme ein Bild auf mit […]