Jugendpolitik: Entwicklung statt Beton
Viele Menschen können die Erzählung von der »verlorenen« Generation Europas nicht mehr hören: Die Jugend, die am härtesten von der Krise betroffen ist, die Generation Praktikum, die mittlerweile seit Jahren Arbeit und neue Perspektiven sucht, die Jungen, die die Rechnung für unser nicht nachhaltiges Wirtschaften und für den ungezähmten Klimawandel zahlen werden – viele Menschen sind der schlechten Nachrichten überdrüssig.
Aber die Lebensrealitäten junger Menschen haben sich nicht verbessert. Die Statistiken zeichnen weiter ein trauriges Bild. Nur ein wenig verzweifelter und zynischer sind die Erzählungen meiner spanischen und griechischen Freund*innen über abgelehnte Bewerbungsschreiben oder weitere Jahre in der Wohnung der Eltern. Der Medienhype um die Frage der Perspektivlosigkeit von jungen Menschen in Europa ist abgeklungen, weil alle Zahlen mittlerweile schon hundertmal gesagt und alle Lösungsinstrumente schon tausendmal erklärt worden sind. Aber die Probleme sind geblieben.
Was macht nun die Europäische Union? Wurden nicht sechs Milliarden Euro zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit zur Verfügung gestellt? Werden nicht schon alle politischen Schritte gegangen, um Jugendlichen in Europa Perspektiven zu geben? Nein, denn gleichzeitig werden in zukunftsrelevanten politischen Fragen die Interessen von Jugendlichen nicht mitgedacht. Häufig werden politische Entscheidungen gar gegen sie getroffen.
In der EU werden nach wie vor Milliarden in den Energiesektor investiert – nicht, um den Klimawandel aufzuhalten, sondern stattdessen, um Kohle und Atom zu subventionieren. Hunderte Millionen werden ausgegeben, um die europäischen Außengrenzen aufzurüsten, um so Menschen auf der Flucht davon abzuhalten, Asyl und Schutz in Europa zu suchen. Es werden Milliarden Euro in ein Wirtschaftssystem gepumpt, das nicht nachhaltig ist und zudem soziale Ungleichheiten produziert, die das Fundament unserer Demokratie bedrohen.
Um Politik für junge Menschen in Europa zu gestalten, brauchen wir nicht nur schöne Bilder von Jugendgipfeln mit jungen Menschen und den Mächtigen Europas. Wir brauchen ein völlig neues Bewusstsein für die Frage, welche Auswirkungen politische Entscheidungen für die Jungen von heute und die Generationen von morgen haben werden. Harte Austerität schadet jungen Menschen. Eine Klimapolitik, die keine bindenden und ambitionierten Klimaziele durchsetzt, ist nur bis vorgestern gedacht. Grenzabschottungen sind nicht nur inhuman, sondern demografiepolitisch unsinnig.
Jugendpolitik muss deshalb weitergefasst werden. Wir brauchen Mut für ein gemeinsames Europa – und das in allen Politikbereichen: Seien es bindende, ambitionierte Beschlüsse bei den Klimaverhandlungen Ende dieses Jahres in Paris. Sei es ein Investitionspaket, das statt in Beton endlich in nachhaltige Entwicklung investiert. Sei es ein europäischer Konvent für eine demokratische Erneuerung der europäischen Institutionen. Sei es eine Europäische Arbeitslosenversicherung, die sowohl mehr Stabilität in der Eurozone als auch mehr soziale Gerechtigkeit in Europa bringt. Sei es eine Flüchtlingspolitik, die endlich einsieht, dass Europa nicht nur globale Verantwortung trägt, sondern selbst massiv von einer größeren Offenheit profitiert.
Mit dem derzeitigen politischen Kompass wird sich das europäische Projekt nicht weiterentwickeln lassen. Ganz im Gegenteil: Ohne echte Handlungsmöglichkeiten und eine europäische Zukunftsorientierung wird das Integrationsprojekt auseinanderbrechen. Nicht nur die soziale Ungleichheit, sondern auch fehlende Nachhaltigkeit und demokratische Einflussmöglichkeiten werden jungen Menschen das Leben verbauen – und das, obwohl es ein so großes Potenzial gibt, das einfach nur genutzt werden muss.
Die Jugend Europas hat neben abgelehnten Bewerbungen und Kinderzimmern in den Wohnungen der Eltern nämlich sehr viel zu bieten: Sie ist besser ausgebildet als alle Generationen vor ihr, sie ist weltoffen, neugierig und will wirkliche europäische Lösungen. Jugendliche möchten selbst gestalten können und das europäische Projekt weiterführen. Vielleicht sollten die Älteren sie nur lassen!
Dieser Artikel ist zuerst am 28. Mai 2015 in Neues Deutschland – Sozialistische Tageszeitung erschienen.