19. August 2015

Schützt den Mutterschutz!

Die Richtlinie zu Geschlechtergerechtigkeit und Frauenrechten darf nicht verworfen werden

Der Vorschlag für eine Richtlinie über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Müttern am Arbeitsplatz, auch bekannt als die Mutterschutzrichtlinie, wurde zunächst im Oktober 2010 mit großer Mehrheit des Europäischen Parlaments angenommen. Vier Jahre später bleibt die Verabschiedung dieser Richtlinie im Rat der Europäischen Union von einigen EU-Mitgliedstaaten blockiert. Hinzu kommt, dass die Europäische Kommission vor kurzem ein Verfallsdatum für die Richtlinie festgelegt hat: Im Arbeitsprogramm der Kommission für das Jahr 2015 steht geschrieben, dass der Richtlinienvorschlag zurückgezogen werden soll, sofern nicht innerhalb von sechs Monaten eine Einigung erreicht wird. Dies würde einen riesigen Rückwärtsschritt für die Rechte von Frauen und Geschlechtergerechtigkeit in Europa bedeuten.

Nach zweijähriger Diskussion hatte das Europäische Parlament zuletzt eine Einigung über die Mutterschutzrichtlinie erreicht. Damals nahm es eine progressivere Position als die Europäische Kommission ein und weitete den Mindestmutterschutz von 14 auf 20 Wochen bei voller Bezahlung aus, gab Hausangestellten und Adoptivmüttern dieselben Rechte und bezog auch eine Elternzeit für Väter von mindestens zwei Wochen bei vollem Lohnausgleich mit ein. Die Gefährdung der Mutterschutzrichtlinie, einem Rechtsakt, der demokratisch beschlossen wurde, ist absolut unakzeptabel. Sie demonstriert einen Mangel an Respekt für die Entscheidung des Europäischen Parlaments und zeigt zudem, dass die Kommission auf Kosten von Geschlechtergerechtigkeit sowie Gesundheits- und Sicherheitsbestimmungen, die Gerechtigkeit und Lebensstandards garantieren, Zugeständnisse an die Wirtschaftslobby macht.

Derzeit verdienen berufstätige Frauen in der EU im Durchschnitt immer noch 16,4 Prozent weniger als Männer. Viele Frauen erhalten keine Rente und diejenigen, die sie beziehen, sehen sich immer noch einem durchschnittlichen Versorgungslücke von 39 Prozent gegenüber Männern gegenüber. So lange Europa kein angemessenes Gehalt während des Mutterschutzes garantieren kann, werden Frauen weiterhin finanzielle Einbußen erleiden müssen, wenn sie sich für Kinder entscheiden. Dies wiederum trägt dazu bei, dass sich das geschlechtsspezifische Lohngefälle in der EU weiterhin verstärkt, was ernsthafte Auswirkungen auf die Rentenansprüche von Frauen hat.

Obwohl alle EU-Mitgliedstaaten Gesetze haben, die schwangere Frauen schützen, werden Frauen während Schwangerschaft und nach Geburt immer noch am Arbeitsplatz diskriminiert. Sogar wenn es gesetzlich verboten ist, werden junge Frauen immer noch bei Bewerbungsgesprächen nach ihren Plänen zur Familiengründung befragt. Im Jahr 2008 und auch heute braucht die EU mehr denn je eine gemeinsame Gesetzgebung, die die Rechte von Frauen während Schwangerschaft und nach Geburt schützt und stärkt. Der Umstand, dass die EU immer noch keine Erfolge bei der Gewährleistung von hinlänglichen Maßnahmen zum Schutz von Frauen verbuchen kann, ist schier unglaublich.

Eines der Hauptargumente, das von EU-Mitgliedstaaten verwendet wird, die die Richtlinie blockieren, ist der Glaube, dass 14 Wochen Mutterschutz die Situation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt drastisch schwächen würde. Zudem wird unterstellt, dass die „finanzielle Last“ für Staaten in Krisenzeiten nicht tragbar wäre. Dies ist jedoch alles andere als wahr, was sich bei einem Blick auf die skandinavischen Länder zeigt: Je progressiver die Mutterschutzsysteme, desto geringer das Gefühl, dass eine Karriere nicht mit Kindern vereinbar ist. Der Aufschrei von Arbeitgeberverbänden und EU-Mitgliedstaaten über die riesigen Kosten des Richtlinienvorschlags wird auch dadurch entkräftet, wenn man sich die Studie zur Folgenabschätzung für die Mutterschutzrichtlinie anschaut. Die Studie stellt heraus, dass ein Anstieg von Frauen auf dem Arbeitsmarkt um 1,4 Prozent bereits die Kosten des gesamten Vorschlags decken würde. Die EU-Mitgliedstaaten haben sich bereits mit der Strategie Europa 2020 darauf verständigt, den Anteil von Frauen auf dem Arbeitsmarkt von 60 auf 70 Prozent zu steigern. Mit diesem Ziel vor Augen sind ein Mutterschutz von 20 Wochen und ein Vaterschutz von zwei Wochen nicht nur finanziell tragbar sondern auch eine einzigartige Möglichkeit, die Arbeitsbedingungen von Frauen und Müttern zu verbessern.

Elternzeit für Väter hat einen weiteren Streitpunkt in der Diskussion entfacht. Obwohl 19 EU-Mitgliedstaaten bereits Elternzeit für Väter in ihre nationale Gesetzgebung implementiert haben, stellt dieses Thema im Rat der Europäischen Union eine große Herausforderung dar. Elternzeit für Väter ist eine entscheidende Maßnahme für Geschlechtergerechtigkeit. Wenn wir den Anteil von Frauen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen wollen, ist es essenziell, dass Männer die Rolle als Bezugsperson und Betreuer innerhalb der Familie wahrnehmen. Studien zeigen sehr deutlich, dass es eine stärkere Einbeziehung des Vaters in die Betreuung des Babys und die Erziehung des Kindes gibt, wenn dieser bereits direkt nach der Geburt des Babys Elternzeit nimmt. Die gemeinsame Verantwortung für familiäre Pflichten und die Aufteilung von Verantwortlichkeiten innerhalb der Familie ist sehr wichtig für die Förderung von echter Geschlechtergerechtigkeit.

Ein europäischer Mutterschutz würde echten Fortschritt beim Schutz von arbeitenden Müttern bringen – sowohl für Geschlechtergerechtigkeit als auch für einen nachhaltigen Arbeitsmarkt. Die Gesundheits-, Fürsorge- und Arbeitsrechte von Müttern und Vätern dürfen nicht für wirtschaftliche Interessen oder den Vorrang bestimmter EU-Mitgliedstaaten geopfert werden. Wir sind alle verantwortlich dafür, Druck auf die europäischen Institutionen auszuüben und unseren Stimmen Gehör zu verschaffen. Wir müssen der Europäischen Kommission, dem Rat und insbesondere den blockierenden Mitgliedstaaten sagen, dass sie die Mutterschutzrichtlinie auf dem Tisch belassen sollen.